Anhebung der Schwellenwerte: Aufatmen für Unternehmen?
Die Anhebung der Größenklassifizierung von Unternehmen befreit von einigen Pflichten. Doch wie sinnvoll ist das?

08.08.2024

Eine Erhöhung der Schwellenwerte für Bilanzsumme und Umsatzerlöse um 25 Prozent hat die EU-Kommission im vergangenen Jahr verkündet. Nun wurden diese Neuerungen ins deutsche Handelsgesetzbuch (HGB) integriert. Anzuwenden ist diese Neuregelung grundsätzlich für Geschäftsjahre, die am oder nach dem 1. Januar 2024 beginnen. Ergänzend hierzu hat der Gesetzgeber eine rückwirkende Anwendung beschlossen für Geschäftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2022 begonnen haben. „Die rückwirkende Erhöhung stellt uns vor eine neue Situation. Viele Unternehmen, die bisher als mittelgroß galten, fallen durch eine Ausübung des Wahlrechts beispielsweise aus der Prüfungspflicht heraus“, betont Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Fabian Gerndt.

Auf den ersten Blick können einige Unternehmen nun aufatmen, was aufwändige Themen wie die verpflichtende Jahresabschlussprüfung, die Erstellung eines Lageberichts oder die Nachhaltigkeitsberichterstattung angeht, da sie nun unter den Schwellenwert für mittelgroße Unternehmen fallen (können). „Dennoch sollte ein Verzicht gut durchdacht werden, denn die Konsequenzen können weitreichend sein“, rät Fabian Gerndt.

Als maßgebliche Schwellenwerte für die Umschreibung der Größenklassen gelten grundsätzlich die Bilanzsumme und die Umsatzerlöse sowie die durchschnittliche Zahl der Arbeitnehmer. Letztere bleiben in diesem Zusammenhang unverändert. „Des einen Freud, des anderen Leid“, betont Fabian Gerndt. „Die neue Einstufung von Unternehmen bringt Vor- und Nachteile mit sich. Sie verhindert beispielsweise, dass kleine und kleinste Unternehmen die strengeren Vorschriften zu Rechnungslegung und Berichterstattung erfüllen müssen – eine Erleichterung für all diejenigen, denen die erhebliche Inflation der vergangenen Jahre zu schaffen macht.“ Unternehmen, die bislang als große Kapitalgesellschaften galten, könnten nun in den Bereich mittelgroß zurückgestuft werden und fallen damit auch aus dem Anwendungsbereich der EU-Taxonomie-Verordnung und der CSRD-Richtlinie (Corporate Sustainability Reporting Directive) heraus.

In vielen Fällen sei es jedoch ratsam, eine freiwillige Nachhaltigkeitsberichterstattung vorzunehmen, empfiehlt Fabian Gerndt. Insbesondere kleinere Betriebe, die ihre Produkte auch weiterhin an Großunternehmen liefern wollen, müssen nachhaltiges Wirtschaften nachweisen können. Seit große Unternehmen ihre gesamten Lieferketten auch unter CSR-Gesichtspunkten genau im Blick haben und entsprechende Achtsamkeit darlegen müssen, sind potenzielle Lieferanten im Zugzwang. Wer nicht nachweislich nachhaltig agiert, verliert spätestens im Wettbewerb um Großkunden.

Ebenfalls sind zahlreiche Unternehmen nun auch von ihrer Pflicht zur Jahresabschlussprüfung befreit. In vielen Fällen kann die Entscheidung zu einer freiwilligen Prüfung jedoch sinnvoll sein, erklärt Fabian Gerndt. „Die Jahresabschlussprüfung gewährleistet grundsätzlich, dass der Jahresabschluss in allen wesentlichen Belangen den deutschen handelsrechtlichen Vorschriften entspricht und ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage der Gesellschaft vermittelt. Weiterhin wird gewährleistet, dass der Lagebericht in allen wesentlichen Belangen im Einklang mit dem Jahresabschluss steht und die Chancen und Risiken der zukünftigen Entwicklung zutreffend darstellt. Zudem kann die Prüfung auch Schwachstellen im Unternehmen, insbesondere bezüglich des internen Kontrollsystems, aufdecken.“ Weiterhin sei die Vorlage einwandfreier Jahresabschlüsse ein wichtiges Kriterium für Banken bei der Gewährung von Krediten und dem Umgang mit bereits gewährten Krediten.

Sind mehrere Gesellschafter an einem Unternehmen beteiligt, ohne selbst in die Geschäftsführung eingebunden zu sein, erlangen sie mit einem geprüften Jahresabschluss darüber hinaus auch eigene Rechtssicherheit. Zudem kann das Wissen der Mitarbeiter, dass Prüfer regelmäßig vor Ort sind, auch ein Hindernis für dolose Handlungen darstellen (zum Schaden des Unternehmens vorsätzlich oder grob fahrlässig durchgeführte Handlungen). Denn Ziel einer gesetzlichen Abschlussprüfung ist es, hinreichende Sicherheit darüber zu erlangen, dass der Jahresabschluss frei von wesentlichen falschen Darstellungen aufgrund von dolosen Handlungen oder Irrtümern ist.

Für die Anwendung der neuen Schwellenwerte räumt der Gesetzgeber das Wahlrecht ein, die neuen Schwellenwerte bereits auf Geschäftsjahre anzuwenden, die am oder nach dem 1.1.2023 begonnen haben. Voraussetzung ist jedoch, dass die Anwendung einheitlich erfolgt: Gliedert sich ein Konzern in Mutter- und Tochterunternehmen, so müssen alle Jahresabschlüsse und der gesamte Konzernabschluss für dasselbe Geschäftsjahr auf derselben Grundlage erfolgen. 

 

Die neuen Schwellenwerte und Größenklassen auf einem Blick:

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